In einer Situation, in der Antisemitismus in Deutschland Debattenthema ist, in der sich Innenminister, Prominente und die Bild-Zeitung demonstrativ gegen Antisemitismus stellen, da wäre es eigentlich Aufgabe einer radikalen, antifaschistischen Linken, in diese Diskussion zu intervenieren und eine Praxis im Kampf gegen Antisemitismus zu schaffen. Aufgabe einer radikalen Linken wäre es, auf die ökonomischen und ideologischen Bedingungen gesellschaftlicher Verfasstheit hinzuweisen, die den Antisemitismus immer wieder reproduzieren und dessen derzeitige, offene und gewalttätige Mobilisierung ermöglichen. Aufgabe einer antifaschistischen Linken wäre auch, das von bürgerlichen Politiker*innen und Medien häufig bediente Bild eines „importierten“ Antisemitismus zu kritisieren und darauf zu verweisen, dass Antisemitismus seit jeher ein ekelerregendes Produkt deutscher Zustände ist, auch wenn die derzeitige Mobilisierungswelle bislang in erster Linie islamische Antisemit*innen auf die Straße getrieben hat.
Gegen Kieler Unzumutbarkeiten…
Stattdessen zeigt sich, dass die radikale Linke, was das entschlossene Handeln gegen Antisemitismus angeht, noch hinter den Springer-Verlag und Innenminister Breitner zurückfällt. Es besteht ganz offenbar nicht der Wille, theoretisch und praktisch gegen Antisemitismus und Antisemit*innen vorzugehen, während der anti-imperialistische Teil der Kieler Linken ohnehin kein Problem mit Antisemitismus hat, wenn er nur im antizionistischen Gewand daherkommt. So traf sich auf einer „Palästina-Kundgebung“ am 26.07. das „Who is who“ der Kieler Bewegungslinken: Von Mitgliedern von Attac, Gewerkschafter*innen, MLPD, IPPNW, DKP und Rundem Tisch gegen Rassismus und Faschismus – alle waren sie da, um gegen Israel zu protestieren. Dass dabei erneut antisemitische Parolen skandiert wurden, mit „Nieder, nieder Israel!“ etwa der unverhohlene Vernichtungswunsch gegen den jüdischen Staat offenbart wurde, dass mit „Kindermörder Israel“ erneut die Legende vom niederträchtigen, kindermordenden Juden bedient wurde, all’ das störte die Friedensbewegten nicht.
Von etwa zwanzig Antifaschist*innen und Jüdinnen*Juden, die am Rande des Asmus-Bremer-Platzes gegen Antisemitismus protestierten, fühlten sich einige Kieler Linke aber offenbar so gestört, dass sie grinsender Teil des Mobs waren, der die Gegner*innen von Antisemitismus bespuckte, beleidigte, Fahnen entriss und ihnen erneut mit Vergewaltigung drohte. Nur aufgrund der massiven Polizeipräsenz kam es nicht zu körperlichen Angriffen gegen Antifaschist*innen und Personen aus der jüdischen Gemeinde.
…gilt es vorzugehen, gerade weil „die Welt brennt!“
Weil die Beteiligung von Linken, die auch in antifaschistischen Zusammenhängen arbeiten, an einer Demonstration mit – mindestens – antisemitischen Untertönen die Debatte um Antisemitismus in solchen Bündnissen notwendig macht, forderten einige Menschen am nächsten Tag, auf einem antifaschistischen Bündnistreffen, eine Auseinandersetzung mit Antisemitismus ein.
Neben formalen Drucksereien („gehört hier nicht her…“, „heute ist niemand von denen hier…“), wurde die Forderung auch als Versuch der Spaltung gewertet. Dieser Vorwurf geht absolut ins Leere, weil die „Kieler Erklärung“ letztlich eine Zusammenfassung von Basisbanalitäten ernsthafter antifaschistischer Arbeit ist.
Zu einer inhaltlichen Debatte, warum einige das Unterschreiben der Erklärung ablehnen, kam es dann allerdings auch gar nicht mehr. Den Menschen, die das Thema, auf den Tisch gebracht hatten, wurde lautstark vorgeworfen, zu lügen und die Frage auf den Tisch geworfen, wie man sich mit so etwas befassen könne, während „die Welt brennt“.
Wir beharren darauf: Gerade, weil die Welt brennt, ist eine Auseinandersetzung mit Antisemitismus unumgänglich. Es zeigt sich immer wieder, dass eine Konsequenz ökonomischer und geopolitischer Krisen oft das Aufflammen des Antisemitismus ist, der gleichzeitig ein Amalgam ist für Menschen, die sich innerhalb dieser Krisen ansonsten spinnefeind sind. Nur auf Demos gegen Israel ist es möglich, dass kurdische Fahnen, neben deutschen, türkischen, iranischen und pakistanischen wehen.
Hoch die inhaltsleere Solidarität!
Mit der Verweigerung, linken Antisemitismus als Problem ernst zu nehmen und zu debattieren, wurde das Bündnis „Gegen Nazis in Gaarden“ faktisch gespalten – nämlich durch die, die es verweigert haben, sich in diesem Rahmen mit Antisemitismus als einem Problem auch linker, antifaschistischer Strukturen auseinanderzusetzen. Wir wollen keinem der Anwesenden unterstellen, persönlich ein inhaltliches Problem mit der Erklärung zu haben. Dennoch müssen wir es als bewusste politische Entscheidung werten, die Erklärung nicht zu unterschreiben.
Es stand zu befürchten, dass Menschen, die an antisemitischen Demonstrationen teilnehmen, sich außerstande sehen, sich gegen Nazis in Gaarden zu engagieren, wenn eine derartige Erklärung unterzeichnet wird. Statt auf inhaltliche Auseinandersetzung mit Antisemitismus, als einem Kernaspekt neo-nazistischer Ideologie, wurde auf maximale Mobilisierungsfähigkeit gesetzt, obwohl dieses erklärte Ziel des Bündnisses ohnehin als gescheitert bewertet werden muss.
Statt den „Friedensdemonstranten“ das Angebot zu machen, auf Basis einer gemeinsamen Erklärung gegen Antisemitismus weiterhin mitzuarbeiten, wurden diejenigen angebrüllt und rausgedrängt, die die Erklärung eingebracht haben. Das war gleichzeitig eine weitere Entscheidung radikaler Linker, statt in eine gesellschaftlich relevante und aktuelle Auseinandersetzung über Antisemitismus zu gehen, nicht die möglichen Bündnispartner*innen für die nächste symbolpolitische Aktion „gegen die… für das…“ zu verschrecken. Einmal mehr wurden vermeintliche Mobilisierungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit hier verwechselt.
„Es zeigt sich wieder einmal das Problem, dass mangelnde Kommunikation und Diskussion über gemeinsame Standpunkte, Inhalte und Vorstellungen an bestimmten Stellen zu spontan und heftig auftretenden Streitpunkten führen, dass Erwartungen enttäuscht oder gar nicht erst verstanden werden, dass sich Frustration breit macht.“ 1
Gebrüll, wenn es um eine Auseinandersetzung mit Antisemitismus geht, zeugt davon, dass es offenbar einen Bedarf gibt, über Antisemitismus zu reden. Dabei ist es nicht so, dass es nicht die Möglichkeit gegeben habe, in eine Debatte über Antisemitismus einzusteigen. Die Koordination gegen Antisemitismus in Schleswig-Holstein hat außerdem bereits 2013 drei Veranstaltungen gemacht, die inhaltlich starken Bezug zu den Themen hatten, die in der Lage sind, manche Kieler Linke bis auf die Spitze der Palme zu bringen: Eine Bestandsaufnahme des Antisemitismus in Deutschland, eine Veranstaltung zum Verhältnis von Antisemitismus und Antizionismus und der Historie linken Antisemitismus und eine Veranstaltung, die sich explizit dem Thema „Antisemitismus von links“ gewidmet hat. Gäbe es ein Interesse an der Auseinandersetzung mit Antisemitismus, dann hätten diese Angebote ohne Weiteres auch zur Diskussion strittiger Fragen genutzt werden können. Jetzt in einer Situation, in der Antisemitismus sich so offen, wie lange nicht mehr, manifestiert, Genoss*innen hochemotional vorzuwerfen, dass sie über das Thema reden wollen, ist absurd.
1 Aus dem Aufruf zur Vollversammlung in der Alten Meierei.
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